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Wissenschaftler kritisieren volle Schulklassen

Die Haltung der Länder, nachdem die Schulen keine Treiber der Pandemie seien, wird von mehreren Virologen kritisiert. Jörg Timm, Direktor des virologischen Instituts am Universitätsklinikum Düsseldorf, sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, er halte diese Aussage für nicht mehr tragbar. Auch wenn eine Ansteckung bei kleinen Kindern seltener sei, so geben sie eine Infektion trotzdem weiter.

Weiter sagt Timm, dass Kinder ab zwölf Jahren sogar “genauso ansteckungsfähig wie Erwachsene” seien. “Daher spielen Schulkinder definitiv eine Rolle.” Und auch Sandra Ciesek, Direktorin der Frankfurter Virologie, warnt davor, ältere und jüngere Schüler in den Diskussionen zu unterscheiden. Es sei nicht ganz klar, warum Grundschüler weniger zur Verbreitung des Virus beitragen als Jugendliche. Eine Rolle spiele das Immunsystem von Kindern, aber auch die weniger ausgeprägte Symptomatik und das Verhalten. Daher habe Distanzunterricht bei älteren Kindern und Jugendlichen durchaus einen größeren Effekt bei der Eindämmung der Pandemie als bei Grundschülern.

Und auch die Novemberzahlen des RKI legen nahe, dass überdurchschnittlich oft ältere Schüler mit dem Virus infiziert sind. In der vorvergangenen Woche lag die Inzidenz bei den 15 bis 19 Jahre alten Schülern bei 212, in der Gesamtbevölkerung war diese nur bei 151. Ein Vergleich der Zahlen von allen Infizierten zeigt, dass sich die Werte gegenüber März und April, als beinahe alle Einrichtungen geschlossen waren, fast verzehnfacht haben. Das sich eher ältere Schüler infizieren, sehen auch die Gesundheitsämter. “Die Älteren scheinen stärker betroffen zu sein, Kinder unter vier Jahren kaum”, sagt eine Sprecherin des Bezirksamts Berlin-Mitte, derzeit Spitzenreiter bei den Infektionen.

Viele Amtsärzte haben aber nicht den Eindruck, dass die Schulen Virenschleudern sind. “Wir haben viele Fälle in Schulen, aber im klassischen Unterrichtsgeschehen erfolgen die Infektionen eher nicht”, ist von der Stadt Herne zu hören. Diese hat ebenfalls eine Inzidenz von über 300. Auch der Leiter des Gesundheitsamts im Kreis Düren äußert sich ähnlich. Die Ansteckung erfolgt eher im privaten Bereich denn in der Schule. Mehrere Fälle an verschiedenen Schulen ließen sich auf eine gemeinsame Feier zurückführen.

Angespannt ist auch die Lage in den Duisburger Schulen. 92 Schüler sind seit Anfang November an weiterführenden Schulen positiv getestet worden. Hingegen waren es an Grundschulen nur 34. “Die Bedingungen für einen durchgehenden Präsenzunterricht werden immer schwieriger.” Karl Lauterbach, Gesundheitspolitiker und Epidemiologe, befürchtet zudem eine hohe Dunkelziffer. Grund ist, dass Erwachsenen bislang zehnmal mehr getestet werden als Schüler.

Unzufrieden mit der Situation an den Schulen ist auch der Bundeselternbeirat und beklagt vor allem die vollen Klassen. Gegenüber der FAS sagte Stephan Wassmuth: “Wir sind froh, dass die Schulen offen sind, aber die Gesundheitsversorgung muss im Vordergrund stehen.” Die Kultusminister würden trotz guter Konzepte für einen Wechselunterricht stur am Wechselunterricht festhalten. “Man kann nicht nachvollziehen, dass immer mehr Zeit ins Land geht ohne eine Entscheidung.”

In einer Langzeitstudie hat der Bildungsforscher Olaf Köhler die Folgen von Corona auf die Schulen untersucht. Er kritisiert besonders, dass es für den Winter keinen Plan B gibt. “Im Grunde ist der Konsens: Augen zu und durch.” Nicht nur aus virologischer, sondern auch aus pädagogischer Sicht ist Distanzunterricht vertretbar. “Jüngere brauchen persönlichen Kontakt, aber für Ältere ist es kein großes Problem, selbständig zu lernen.”

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Author
Jerry Heiniken